Gesundheit ist eine oft mißbrauchte Worthülse. Viele
reden von Gesundheitsförderung, kaum wer sagt, was er oder
sie damit meint.
Der Begriff Gesundheit ist als Gegenpol zu Krankheit gebräuchlich,
zahlreiche, sicherlich hunderte, Definitionen sind möglich.
Das Begriffsspektrum reicht von Idealvorstellungen bishin zu Minimalvarianten,
in denen die Arbeits- und Leistungsfähigkeit ausreicht.
Als gemeinsamer Nenner und Zieldefinition gilt oft der berüchtigte
Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation, den Zustand
des totalen, umfassenden Wohlbefindens als Ideal darstellend.
(Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen,
seelischen und sozialen Wohlbefindens)
Wieviele Sekunden meines Lebens war ich dementsprechend gesund?
Unmöglich zu erreichen?
Ein Freund von mir verbrachte die Feier seines vierzigsten Geburtstages
mit beinahe 100 engeren oder loseren Freundinnen und Freunden.
Total betrunken, ein Bad in der Menschenmenge nehmend, ging er
von Einer zum Nächsten, fiel allen um den Hals, und rief
pausenlos: "Wie schön ist es, solche Freunde zu haben!".
Stundenlang war er so in körperlichem, seelischem und sozialen
Wohlbefinden zu beobachten.
Gesundheitsförderung ist ein international anerkanntes Schlagwort,
von der WHO propagiert, alle Staaten stimmen zu, diffus genug,
um nichts tun zu müssen. Gesundheitsförderung meint
unterschiedliches, je nach dem zugrundeliegenden Begriff von Gesundheit,
und hat dabei die Erreichung, oder Erhaltung derselben zum Ziel.
Prävention hat, der Wortbedeutung nach, einen anderen Fokus:
nämlich die Krankheit, die es zu verhindern gilt. Primär
heißt in diesem Fall, daß an der Basis, den Grundlagen
angesetzt wird, und nicht erst nach dem Auftreten von Risikofaktoren
oder Frühsymptomen. Wenn jemand verkühlt ist, kalte
Füße hat, und sich Socken anzieht, damit der Zustand
nicht noch schlimmer wird, ist dies tertiäre Prävention.
Sekundäre Prävention ist, einem Kind mit kalten Füßen,
das zu Verkühlung neigt, Socken anzuziehen, noch bevor es
krank ist. Warme Socken anzuziehen, solange die Füße
warm sind, ist eine Maßnahme primärer Prävention.
Ebenso ist mit warmen Füßen nach Anleitung von Pfarrer
Kneipp bloßfüssig durch eiskaltes Wasser zu gehen eine
Maßnahme primärer Prävention. Also heften sich
sowohl Sockenverkäufer, als auch Barfußprediger den
Titel Gesundheitsförderer an ihre Fahnen, und wer kann einem
von Ihnen widersprechen?
Primäre Prävention umfaßt sowohl kollektive als
auch individuelle Faktoren (Umwelt/Lifestyle), spezifische als
auch unspezifische Aspekte, Dispositionsprophylaxe und Expositionsprophylaxe,
dazu gehört so unterschiedliches wie Gesundheitsbildung,
Verbesserung der Umweltbedingungen, Impfungen, Unfallverhütung,
Hygienemaßnahmen, Ernährung, oder Bewegung, Erhöhung
der Resistenz des Individuums und Reduktion des persönlichen
Risikos.
In den sekundären Bereich (Krankheits- und Risikofaktorenfrüherkennung
und -behebung) fallen demgegenüber präventive Untersuchungen
wie im Rahmen des Mutter-Kind-Passes, Gesundenuntersuchung, oder
Beratung für rauchende Menschen, in den tertiären Kuren nach Krankheit, oder
Selbsthilfegruppen.
Wie lassen sich nun Diskussionen anheizen und ergebnislos im Streit
beenden? Am besten geht dies, wenn unterschiedliche Begriffe,
nicht definiert, häufig wechselnd verwendet werden. Unter
denen, die in der Gesundheitsförderung oder in anderen Teilen
des "Gesundheitswesens" tätig sind, gibt es wechselseitig
zahlreiche Vorwürfe: die einen arbeiten zuwenig primär,
andere zuwenig umfassend, politisch, oder konkret. Die Ergebnisse
seien nicht beweisbar, nicht meßbar, oder bloß ideologisch.
Ist Evaluation möglich, wie sind die Erfolgskriterien für
Gesundheitsförderungsmaßnahmen? Finanzielle Einsparungen
in der Krankenversorgung, höhere Zufriedenheitswerte in standardisierten
Fragebögen, höhere Durchschnittstemperaturen von Füssen,
oder mehr glückliche Betrunkene? Gesundheitsförderung
hat in unserem Gesundheitswesen einen marginalen Stellenwert.
Fritz Egger sagt im Salzburger Affront-theater im Kabarettprogramm
"Ohnmacht braucht Kontrolle": "Krankheit ist der
Weg zum Geld des Patienten". Was ist dann Gesundheit, wie
läßt sich daran verdienen, und gibt es einen Zusammenhang
zwischen vernachlässigten Aspekten der Gesundheitsförderung
und Geld? Die Konkurrenz derer, die sich in Gesundheitsförderungsprojekten
profilieren, führt, vielleicht auch angesichts der begrenzten
finanziellen Mittel, zu einem Kampf ums Terrain, oder zu einem
"Schulenstreit". Alle meinen (und das ist für die
eigene Psychohygiene gesund), daß ihr Ansatz der wichtigste
ist, weil von ihrem Startpunkt alles abgedeckt wird. Das kann
für Familienförderung, die ja die "Keimzelle des
Lebens" mitgestaltet ebenso gelten wie für Geburtsvorbereitung
("Wie Menschen geboren werden, so leben sie"), für
Sexualpädagogik (Menschen erleben sich über Beziehungen),
Suchtprävention, die in ihrem umfassenden Ansatz natürlich
in alle Lebensbereiche reicht, schulische Gesundheitserziehung
oder -bildung (wer könnte ihr entgehen?) oder gemeindenahe
Ansätze, die von der aktuellen, realen Lebenssituation der
einzelnen Menschen ausgeht.
Gesundheitsförderung lebt aus dieser Vielfalt, sie ist, wie
Gerald Koller definiert, ein Strategienbündel. Keine einzelne
Maßnahme allein kann daher ihrem umfassenden Ansatz gerecht
werden. Weder planende, visionäre politische Entscheidungen, noch engagierte Basisarbeit reicht aus. Die Ganzheit entsteht
aus der Vielfalt, der Kooperation. Die finanziellen und ideellen
Mittel sind in der Praxis sehr ungleich verteilt. Den Hauptanteil
des "Gesundheitsbudgets" erhält die Medizin (entsprechend
dem Begriff: "Gesundheit entsteht durch Bekämpfung von
Krankheit und ist die Abwesenheit von Leistungsbeeinträchtigung
oder Schmerz"). Bestehende Zugänge zum Thema Gesundheitsförderung
und Prophylaxe existieren von dieser Seite in geringerem Maß,
(v.a. im sekundären Bereich) mit dem Ziel der Verhinderung
von frühzeitigem Tod, Behinderung oder arbeitsleistungsreduzierenden
Krankheiten.
Der Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation besagt
hingegen, daß das Ziel die Verbesserung der Lebensqualität
ist. Gesundheitsförderung, so verstanden, ist ein interdisziplinärer
Ansatz. Auffallend ist besonders, daß die meisten Strategien
der WHO zur Gesundheitsförderung (etwa nach der "Ottawa-Charta
zur Gesundheitsförderung", 1986) außerhalb des
Gesundheitssektors liegen. Fortschritte sind möglich, wenn
sich die unterschiedlichsten beruflichen, gesellschaftlichen und
politischen Sektoren als gleichberechtigte Partnerinnen und Partner begegnen können,
wenn andere Berufsgruppen als gleichwertig, und nicht unterlegen
angesehen werden.
Die Strategien wurden von offizieller Seite gutgeheißen,
zwischen den (oft recht konkreten) Plänen der Einzelziele
des WHO-Programmes "Gesundheit für alle bis zum Jahr
2000" und der Umsetzung klaffen jedoch Welten. Unterentwickelt
sind die Mittel und Aktivitäten für viele Sektoren der
primären Prävention. Dazu gehören etwa konkrete
Maßnahmen wie Geburtsvorbereitung, Suchtprävention,
und die meisten anderen bei der Enquete zur Sprache gekommener
Themenbereiche, aber auch der Abbau von Unterschieden zwischen
Bevölkerungsgruppen, das Wohn- und Siedlungswesen, Organisationsformen,
Vernetzungsstrukturen und Forschungsschwerpunkte.
Maßnahmen scheitern nicht (nur) am Geld, sondern an anderen
Ausdrucksformen mangelnder gesellschaftlicher und politischer
Wertigkeit. Viele Aspekte kollektiver Gesundheitsförderung
sind Ausdruck politischer Willensbildung. Im Sinne der WHO bedeutet
dies auch Demokratisierung. Saubere Luft, zu mindest den Normen
entsprechendes Trinkwasser, gesundheitsverträgliche Nahrungsmittel,
oder lärmarme Wohngegenden sind immer noch nicht selbverständlich.
Vorrang für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist in Zeiten
liberalisierter Wirtschaftsbedingungen nicht aktuell. Gesundheit
an Schulen ist kein Schwerpunkt im Koalitionsabkommen.
Gesundheit, so als interdisiplinärer, dynamischer Begriff
verstanden, ist eine Zielvorstellung für eine Welt, in der,
frei nach Jean Carpentier, die Menschen nicht mehr der Krankheit
ausgesetzt sind.
Dieser Artikel entstand anläßlich einer Enquette 1994
Anschrift desVerfassers: Dr. Alex Trojovsky E-Mail: You are welcome to send me a message: or step over to |
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